Mittwoch, 12. Dezember 2012

Interview mit Ruby über ihren Roman "Alles ist so verdammt wunderbar!"




Frau Ranitzki, weshalb schreiben Sie?

Ich finde es toll, mir Menschen auszudenken und sie in bestimmte Zusammenhänge zu stellen. Dann schaue ich mir an, was sie daraus machen.

Was ist das Besondere an Ida?

Im Kongo heißt es, dass ein Mensch das ist, was seine Zusammenhänge aus ihm machen. Also: Wer kennt den Menschen, wohin gehört er, was ist seine Aufgabe? Meine Ida will eigentlich gar keiner kennen. Sie wurde eher aus Nachlässigkeit geboren und da steht sie nun und versucht, einen Platz für sich zu finden. Das, was letztlich jeder tut.

Idas vorerst einzige Bezugsperson ist ihre Mutter, eine Trinkerin mit einem erstaunlichen Erziehungskonzept.

Ja! Einmal erklärt Idas Mutter ihren Trinkkumpanen, wie sie ihr Kind erzieht. Sie leitet die Kindererziehung ab von den Erfahrungen, die sie mit ihren zwei Katzen gemacht hat und erklärt: „Katzen pinkeln dir in jeden Blumentopf und dann kriegen sie eins aufs Hinterteil und dann fauchen sie dich an. Natürlich pinkeln sie das nächste Mal wieder in den Gummibaum, wenn man nicht hinguckt. Und genauso ist es mit der Ida!“
Idas besonderes Schicksal ist, dass es gar keine Anhaltspunkte gibt, an denen sie sich orientieren könnte. Nur massenweise Widerstände. Das hat mich gereizt. Ida ist nicht besser oder schlechter als andere Menschen, nur einen Tick einsamer und deshalb vielleicht freier in ihren Entscheidungen.

Zu Beginn der Geschichte ist Ida ein Kind. Diese Entscheidungen kann ein Kind doch gar nicht treffen!

Das ist richtig, und das ist auch Idas Dilemma. Erst einmal hat sie nur eine Aufgabe: Sie darf nicht untergehen. Und das ist gar nicht so einfach im Dorf.

Sind Sie der Ansicht, dass das Dorf ein schlechter Platz für Kinder ist?

Meine Kinder wuchsen auch auf dem Land auf. Hier gibt es die bessere Luft, die größeren Wälder und die kleineren Kindergärten. Unsere Kinder konnten im Hof und auf der Straße spielen. Das finde ich gut, und meine Kinder fanden es auch gut. Sie mochten es, dass sie bekannt waren. Aber natürlich findet nicht jeder im Dorf die Freiheit, sich ungestört zu entfalten.
Hier finden Sie unsere Gesellschaft  in konzentrierter Form. Eine Art Mikrokosmos, von allem etwas. Trotz der Gleichheit, die uns in unserem Grundgesetz garantiert wird, sind wir tatsächlich höchst ungleich, schon von Geburt an. Also habe ich mir ein prototypisches Dorf ausgedacht. In Idas Dorf sind die Startplätze sehr sichtbar vergeben. Ida lebt in den Blocks und viele der Menschen, mit denen sie sich konfrontiert, leben einfach hübscher und gemütlicher. Die haben die Poleposition, Ida zockelt auf ihrem ollen geliehenen Fahrrad hinterher. Um Lebenserfahrung zu sammeln, ist das Dorf sicherlich ein idealer Platz.

Tut Ida ihnen leid?

Nein. Sie wurschtelt sich durch ihr Leben und sie macht viele Fehler. Sie verletzt Menschen, die ihr wichtig sind, obwohl gerade sie wissen sollte, dass das besonders weh tut. Aber sie lernt. Wie wir alle. Mehr kann man von Ida auch nicht verlangen.

Ida wurde in den 1970ern geboren. Kann sie denn noch abbilden, wie es den Kindern und Jugendlichen heute ergeht?

Früher war Idas Schicksal eher ein Einzelphänomen. Ida ist in ihrem Dorf das einzige deutsche Mädchen, das man dem Prekariat zurechnen würde, wie es heute genannt wird. Heute haben wir eine zunehmende Verarmung der Gesellschaft und damit hat sich die Situation vor allem für die Kinder sehr verschärft.
Grundsätzlich denke ich, dass arme Kinder heute ähnlichen Herausforderungen wie Ida gegenüber stehen. Sie werden nicht als Person beurteilt, sondern als Teil einer wirtschaftlich unergiebigen Gesellschaftsschicht, der man per se erst mal gar nichts zutraut.
Was sicherlich früher anders war: Ida ging noch in denselben Kindergarten und dieselbe Schule wie die anderen Dorfkinder. Heute gibt es das Phänomen, dass „die aus den Blocks“ von den Kindern wohlsituierter Haushalte in den Bildungsanstalten eher getrennt sind. Ida musste sich noch mit denen messen, deren gesellschaftlicher Erfolg wahrscheinlich scheint. Und das hat ihr letztlich geholfen, denn sie hat sich in der Schule viel Mühe gegeben. Ida hatte noch reelle Aufstiegschancen. Die sind vielen Kindern heute verwehrt, und das ist erstens höchst unfair und zweitens eine Vergeudung von Potential, wenn man es wirtschaftlich betrachtet. Kinder armer Leute sind nicht per se dumm, auch wenn das viele damals schon vermuteten und es auch heute noch eine weit verbreitete Meinung ist.

Möchten Sie eine Botschaft in Ihrem Buch transportieren?

Nein, eine Botschaft habe ich nicht, das fände ich anmaßend. Ich denke, dass viele Menschen sich in Kleinigkeiten wiederfinden können, die sie in Idas Geschichte lesen werden. Meiner Meinung nach ist es tröstlich, zu lesen, dass andere Menschen auch einsam sind und Mühe haben, ihr Leben zu gestalten. Dass es so viele Holzwege gibt, auf die man sich immer wieder begibt. Und immer wieder auch eine Weiterentwicklung, an deren Ende man sich selbst hoffentlich aufrichtig gerne leiden mag.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Ranitzki.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen